
Flüchtlingskrise ist Lackmustest für humanes Europa
Die Flüchtlingskrise ist der große Lackmustest für ein humanes Europa, die "Flüchtlingsboote im Mittelmeer sind der knallharte Check unseres Barmherzigkeitspegels": Das betonte Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics am Christtag im Eisendtädter Dom. Die Messe zum Hochfest der Geburt Jesu wurde als TV-Gottesdienst von ORF und ZDF live in den deutschen Sprachraum übertragen. Zsifkovics, der in der EU-Bischofskommission ComECE Koordinator für Flüchtlingsfragen ist, stellte dabei die Flüchtlingskrise in den Mittelpunkt seiner Weihnachtspredigt. "Denn", so der Bischof, "im Zentrum des Christentums steht das Flüchtlingskind Jesus".
Dem Terror dürfe es nicht gelingen, Angst und Misstrauen in der Gesellschaft zu verbreiten, ging Zsifkovics ging auch auf die jüngsten Ereignisse in Berlin ein. "Einem solchen feigen Anschlag darf es nicht gelingen, unsere Gesellschaft zu destabilisieren, zu entsolidarisieren und kälter zu machen. Die Antwort auf Terrorismus darf niemals Unbarmherzigkeit gegenüber Notleidenden, Opfern und Verfolgten sein. Einen solchen Triumph dürfen wir den Terroristen nicht gönnen", mahnte der Eisenstädter Bischof.
Zu den zentralen Elementen des Gottesdienstes zählte eine vom burgenländischen Künstler Heinz Ebner gestaltete Weihnachtskrippe. Sie zeigt das Jesuskind in einem Flüchtlingsboot mit nur einem Ruder und einem Ankerseil, sowie einen Weihnachtsstern aus Stacheldraht. Diese Darstellung gebe der Krippe ein aktuelles Gesicht, so Bischof Zsifkovics. Die Heilige Familie sei nach Ägypten geflohen, um dem von Herodes angeordneten Kindermord zu entgehen. "Jesus 2016 ist auf einem Flüchtlingsboot unterwegs. Die Weihnachtsgeschichte ist vor 2.000 Jahren dort entstanden, von woher heute so viele Menschen zu uns kommen."
So wie Jesus aus dem Nahen Osten stammte, so seien es auch heute Menschen aus dieser Region, "die vor menschlichem Unrecht fliehen: vor Verfolgung, vor Krieg und Terror, vor mörderischen politischen Interessen", aber auch zunehmend vor einem "aggressiven internationalen Wirtschaftssystem, das Papst Franziskus als 'Dritten Weltkrieg auf Raten' bezeichnet", sagte Zsifkovics.
Zugleich sei das Flüchtlingsboot Sinnbild für die "tiefe moralische Krise, in der die Menschheit heute steckt". Wer als Christ "diesen Zusammenhang zwischen der Menschwerdung Gottes in Gestalt eines Flüchtlings und der eigenen Lebensweise verdrängt, der lebt an Weihnachten vorbei", mahnte der Bischof. Mit einem solchen Verdrängen werde man selbst "zum Flüchtling vor der religiösen und historischen Realität".
Die Installation des Flüchtlingsbootes mit nur einem Ruder, das somit in einem In-sich-Kreisen steckenbleibt, verweise auf dieses moralische und spirituelle Krisenmoment: "Es erinnert damit an die Flucht vieler Menschen in unserer Gesellschaft vor sich selbst", betonte Zsifkovics. Diese Fluchtbewegungen seien wiederum durch eine Form des Zwangs charakterisiert, "hinein in die große Maschinerie des Wettbewerbs, des Konsums, der Unterhaltung, der Ablenkung. Die Seele geht dabei im Kreis."
Damit stehe wesenhaft die Flucht vieler Menschen vor Gott in Zusammenhang, "weil sie ihn nicht aushalten können", weil Gott etwa aus unserer Gesellschaft zu entsorgen versucht werde. Doch gerade dies sein ein "tragischer Ausdruck der europäischen Unfähigkeit, in der Flüchtlingskrise solidarisch, barmherzig und damit christlich zu handeln". Indem Jesus als "Störenfried mit seiner lästigen Barmherzigkeit" aus der eigenen Mitte entfernt und "aufs offene Meer hinausgeschickt" werde, werde die wahre Bedeutung des christlichen Glaubens vergessen, verdeckt und verstellt.
Stacheldraht, Zäune und Mauern seien heute für viele Menschen die scheinbar richtige Antwort auf die Flüchtlingsbewegungen nach Europa, so der Bischof. Dabei gehe es nicht bloß um technische Fragen, sondern immer "um uns selbst": "Nicht das Abschneiden beim Pisa-Test oder bei amerikanischen Ratingagenturen wird entscheidend für die Zukunft Europas sein, sondern wie wir menschlich abschneiden." Das Flüchtlingsboot sei somit zugleich Symbol einer Mahnung: "Die Härte, mit der eine Gesellschaft heute den Vertriebenen begegnet, wird morgen zur Härte gegenüber den Bedürftigen in ihren eigenen Reihen umschlagen", so der Bischof.
Viele Menschen in Österreich und Deutschland hätten aber auch durch ihre Gastfreundschaft gegenüber Menschen auf der Flucht die lebendige Präsenz von Menschlichkeit und Glauben bewiesen und damit "die Weihnachtsgeschichte der Herbergssuche zur gelebten Barmherzigkeit gemacht", hob Zsifkovics hervor. Das eigentlich Rettende und der wahre Gottesdienst sei die "Barmherzigkeit gegenüber jedem bedürftigen Menschen". Die frei machende Liebe Gottes zu den Menschen sei die große Frohe Botschaft von Weihnachten: "Weihnachten ist das Rettungsboot der Menschheit. Ergreifen wird das Ankerseil - Jesus, den Retter - und lassen wir dieses Boot nicht an uns vorbeifahren", ermutigte der Bischof.
Quelle: kathpress