
Second Hand: Konsum als politische und gesellschaftliche Aufgabe
Umweltschutz, soziale Verantwortung und bewusste Konsumentscheidungen gehören zusammen: Second-Hand ist in Österreich längst kein Nischenthema mehr, sondern auf dem Weg in die gesellschaftliche Mitte und damit zur nachhaltigen Alternative zur Fast Fashion. Das war der Tenor einer Podiumsdiskussion am Weltumwelttag (Donnerstag) im Carla-Shop am Wiener Stephansplatz. Schauspielerin und Autorin Valerie Huber, Publizistin und Umweltaktivistin Nunu Kaller sowie der Caritas-Direktor der Erzdiözese Wien, Klaus Schwertner, appellierten dabei vorrangig an Politik und Unternehmen. Neben einem veränderten Konsumbewusstsein brauche es klare Rahmenbedingungen, um nachhaltige Produktion, höhere Recyclingquoten und eine funktionierende Kreislaufwirtschaft zu fördern.
Als konkrete Maßnahme forderte Schwertner ein EU-weites Vernichtungsverbot für neuwertige Kleidung sowie verbindliche Qualitätsstandards für Importware. In Österreich fielen pro Kopf jährlich rund 800 Kilogramm Müll an - darunter vor allem Bauabfälle, aber auch ein signifikanter Anteil an Textilien. Trotz leicht gestiegener Recyclingquoten liege Österreich bei der Wiederverwertung von Kleidung noch hinter den europäischen Spitzenreitern, so Schwertner.
Second-Hand sei eine der effektivsten Möglichkeiten, CO-Emissionen zu senken und gleichzeitig soziale Projekte zu unterstützen, zeigte sich Schwertner überzeugt. Die "carla"-Secondhand-Shops der Caritas, die seit 40 Jahren Altkleider, Hausrat und Elektroartikel wiederaufbereiten und verkaufen, stünden somit nicht nur für ökologische, sondern auch für soziale Verantwortung.
Allein in den drei Wiener Carla-Shops verzeichnete die Caritas im Jahr 2024 rund eine Million Sachspenden. Am Standort Stephansplatz spenden täglich etwa 50 Personen. "Wir sehen, dass hier Menschen aller Alters- und Einkommensgruppen einkaufen", so Schwertner. Eine Studie des Handelsverbands belege zudem, dass rund 50 Prozent der österreichischen Bevölkerung regelmäßig Second-Hand-Angebote nutzen.
Second-Hand könne auch eine Art "Einstiegsdroge" sein, um Konsumverhalten zu verändern, meinte dazu Nunu Kaller. Es befriedige einerseits emotionale Bedürfnisse und erzeuge das ersehnte "Schnäppchengefühl", sei andererseits aber nachhaltiger als Fast Fashion, so die Umweltaktivistin: "Wir haben genug Kleidung auf diesem Planeten, um die nächsten sechs Generationen einzukleiden - wenn wir jetzt damit aufhören. Es ist genug da."
Kritik Textilindustrie
Zwar hätten Konsumentinnen und Konsumenten mit ihrer Kaufentscheidung Macht - "sie entscheiden mit der Geldbörse, ob sie Großkonzerne unterstützen oder den Wiederverwendungskreislauf stärken" -, doch brauche es auch eine grundsätzliche Veränderung in der Textilindustrie. Kaller kritisierte insbesondere Greenwashing-Strategien großer Modeketten, die Nachhaltigkeit als Marketinginstrument nutzten, ohne faire oder ökologische Standards einzuhalten. Statt neue Kleidung zu forcieren, sollten schon bei der Rohstoffbeschaffung ökologische und faire Kriterien gelten; zudem sei Überproduktion durch On-Demand-Modelle zu vermeiden, so der Vorschlag der Expertin.
Ähnlich äußerte sich Valerie Huber, Autorin des kürzlich erschienenen Buchs FOMO Sapiens, die das Abwälzen der Verantwortung auf die Konsument:innen kritisierte. Bewusster Konsum oder Verzicht sei wichtig, "aber im Endeffekt darf man nicht vergessen, wer zuallererst verzichten müsste: das sind die Großkonzerne und die Öl- und Gasindustrie".
Viele Menschen assoziierten gebrauchte Kleidung nach wie vor mit Armut oder minderer Qualität. Kaller berichtete von einer Umfrage unter Jugendlichen, bei der 80 Prozent den Geruch gebrauchter Kleidung als Hemmnis nannten. Gleichzeitig zeigten erfolgreiche Thrift-Stores in Manhattan, dass sich Second-Hand-Initiativen durchaus im modischen Mainstream etablieren lassen. Schwertner ergänzte, dass hochwertige Selektion, faire Preise und ansprechende Präsentation entscheidend seien, um Second-Hand aus der Nische zu holen und den "schmuddeligen Charakter" hinter sich zu lassen.
Quelle: kathpress