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29.02.2024
Lieferkettengesetz: Zeit für Fakten
Autorin: Bettina Rosenberger, NeSoVe
Vom T-Shirt bis zur Schokolade haben zahlreiche Produkte, mit denen Konsument:innen tagtäglich zu tun haben, auch im Jahr 2024 ihren Ursprung in ausbeuterischen Produktionsverhältnissen entlang globaler Wertschöpfungsketten. Genau diese Missstände sollen mit dem EU-Lieferkettengesetz bekämpft werden. Im Dezember 2023 konnte im Zuge der sogenannten Trilog-Verhandlungen ein Kompromiss bezüglich dem EU-Lieferkettengesetz erzielt werden. Im „Ausschuss der Ständigen Vertreter“ (AStV/COREPER) hätte bereits Anfang Februar lediglich eine formale Abstimmung zur Bestätigung des Kompromisses stattfinden sollen, doch diese wurde kurzfristig vertagt. Als diese Ende Februar schließlich stattfand, fehlte jedoch die notwendige Mehrheit. Ein Aus des EU-Lieferkettengesetzes bedeutet dies aber nicht.
In Österreich sind Justizministerin Alma Zadić sowie Wirtschaftsminister Martin Kocher für die Richtlinie zuständig. Während Ministerin Zadić bereits Ende Jänner öffentlich ihre Zustimmung signalisierte, kündigte Minister Kocher zwei Tage vor der Abstimmung an, dass er sich enthalten werde. Wenn innerhalb der Regierung keine Einigung erzielt werden kann, führt dies dazu, dass sich die österreichische Vertretung im COREPER tatsächlich enthält. Eine Enthaltung im COREPER ist mit einer Ablehnung gleichzusetzen.
Ein Rückblick: Bereits im Dezember 2022 konnte im Vorfeld des Rats für Wettbewerbsfähigkeit (COMPET), in welchem dieser seine Position zum EU-Lieferkettengesetz festgelegt hat, auf österreichischer Ebene, keine Einigung erzielt werden. Minister Kocher vertrat Österreich im COMPET und enthielt sich daher. Ein Umstand, der von vielen Teilen der Zivilgesellschaft sehr bedauert wurde, auch vor dem Hintergrund, dass die zuständigen Ministerien über mehrere Monate einen vorbildhaften und umfassenden Konsultationsprozess organisierten. Diese Positionierung des Rates wird im EU-Gesetzgebungsverfahren als „Allgemeine Ausrichtung des Rates“ bezeichnet.
Der Wirtschaftsminister hat sich im Februar 2024, als er seine Enthaltung bekannt gab, für einen sogenannten „Listenansatz“ ausgesprochen. So wird argumentiert, dass ein solcher Ansatz für Unternehmen leichter umzusetzen wäre. Der Ansatz basiert darauf, dass der Großteil der Unternehmen in „positive und negative Listen“ aufgeteilt wird. Zivilgesellschaftliche Organisationen befürchten aber, dass ein zentraler Aspekt des Lieferkettengesetzes so verloren ginge, nämlich seine präventive Wirkung. Wenn ein Unternehmen auf einer „negativen Liste“ steht, ist der Schaden bereits eingetreten und kann nicht mehr verhindert werden. Ein „Listenansatz“ würden den Präventions-Charakter von Sorgfaltspflichten ad absurdum führen. Sorgfaltspflichten sind kein Detail des EU-Lieferkettengesetzes. Bereits im Titel (Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit) wird auf Sorgfaltspflichten verwiesen. Somit ist bereits, seitdem der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission im Februar 2022 präsentiert wurde, klar, dass Sorgfaltspflichten im Zentrum stehen werden. Das Konzept von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten ist seit mehr als einem Jahrzehnt etabliert und erprobt. Bereits im Jahr 2011 wurden im UN-Menschenrechtsrat die sogenannten „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ (United Nations Guiding Princples/UNGPs) verabschiedet. Ein Grundkonzept der UNGPs sind sogenannte menschenrechtliche Sorgfaltspflichten (Due Diligence). Hierbei handelt es sich um ein mehrstufiges Verfahren, welches u.a. sowohl eine Risikoanalyse beinhaltet, als auch konkrete Maßnahmen, um dem Risiko entgegenzuwirken. Konkret würde dies bedeuten, dass Unternehmen schon zu Beginn ihrer Aktivitäten menschenrechtliche Sorgfaltspflichten implementieren und sich so mit möglichen Risiken entlang ihrer Wertschöpfungskette beschäftigen.
Nachdem bspw. seit über 20 Jahren bekannt ist, dass allein in Ghana und Côte d’Ivoire nach wie vor über 1,5 Millionen Kinder auf Kakaoplantagen gefährliche und gesundheitsschädliche Tätigkeiten verrichten, stellt Kinderarbeit für Kakaounternehmen ein erhebliches Risiko dar, welches berücksichtigt werden müsste. Anlässlich der Verabschiedung der UNGPs wurden die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen überarbeitet. Somit beinhalten auch die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen seit 2011 das Konzept der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten. Seitens der OECD gibt es seitdem ein vielseitiges Angebot, das sich an Unternehmen richtet, um sie über die Implementierung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zu informieren. So gibt es auch eine Übersicht, welche einzelnen Schritte Unternehmen vollziehen müssen, um Sorgfaltspflichten umzusetzen. Als ersten Schritt muss ein Unternehmen eine Risikoanalyse durchführen, d.h. Risiken betreffend (potenziell) nachteiliger Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt von Unternehmensaktivitäten entlang der Wertschöpfungsketten ermitteln und bewerten. Um potenziell nachteilige Auswirkungen zu verhindern, muss das Unternehmen vorbeugende Maßnahmen ergreifen. Dort, wo nachteilige Auswirkungen bereits eingetreten sind, muss das Unternehmen diese beenden und Abhilfe für Betroffene leisten. In einem weiteren Schritt muss das Unternehmen überprüfen, ob die ergriffenen Maßnahmen wirksam sind und gegebenenfalls nachbessern. Schließlich muss das Unternehmen eine Beschwerdestelle einrichten und über seinen Umgang mit (potenziell) nachteiligen Auswirkungen entlang der Wertschöpfungsketten berichten. Bei der Umsetzung dieser Sorgfaltspflichten müssen Interessenträger, wie z.B. Gewerkschaften, eingebunden werden.
Wenn Kakaounternehmen Sorgfaltspflichten implementieren würden, müssten sie sich nicht nur mit dem Risiko von ausbeuterischer Kinderarbeit, sondern ebenso mit deren Ursachen sowie deren Bekämpfung beschäftigen. Kinderarbeit auf westafrikanischen Kakaoplantagen resultiert aus der Armut der Kakaobäuer:innenfamilien. Wer Kinderarbeit bekämpfen möchte, muss daher die Armut der Kakaobäuer:innen sowie die Ursachen der Armut analysieren und adressieren. Bei Kinderarbeit im Kakao-Sektor in Westafrika zeigen viele Studien, dass ein höherer Kakaopreis der Schlüssel zur Beendigung von Kinderarbeit ist. Westafrikanische Kakao-Produzent:innen sind sehr stark in globale Wertschöpfungsketten eingebunden, aber das führt nicht automatisch zu mehr Wohlstand und einem höheren Einkommen der Kakaobäuer:innen. In den letzten Jahren haben die großen Player der Kakao- und Schokoladen-Industrie (vier große Unternehmen verarbeiten ca. 75 % der weltweit produzierten Kakaobohnen) Initiativen der lokalen Regierungen, die den Kakaopreis in die Nähe von existenzsichernden Einkommen führen wollten, aktiv torpediert. Stattdessen wollten sie weiterhin nur auf freiwillige Initiativen setzen. Durch das Lieferkettengesetz wäre dieser Verzögerungstaktik ein Ende gesetzt, und die Konzerne wären verpflichtet, existenzsichernde Preise zu zahlen.
Auch in Österreich beschäftigen sich politische Akteure schon seit vielen Jahren mit den OECD-Leitsätzen. So leistet der Nationale Kontaktpunkt für die OECD-Leitsätze, welcher im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft angesiedelt ist, seit vielen Jahren einen wichtigen Beitrag, um Unternehmen über die Implementierung von Sorgfaltspflichten zu informieren. Auch im Regierungsprogramm befindet sich ein expliziter Verweis auf die OECD-Leitsätze. So steht auf Seite 182 die “Prüfung zusätzlicher Maßnahmen zur Stärkung der unternehmerischen Verantwortung für Menschenrechte im Sinne der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen”.
Ebenso ist hinsichtlich der bisherigen Beschlüsse, die von Wirtschaftsminister Kocher mitgetragen wurden, die Forderung nach einem „Listenansatz“ nicht nachvollziehbar. Minister Kocher hat noch im Februar 2023 die „Declaration on Promoting and Enabling Responsible Business Conduct in the Global Economy“ der OECD unterstützt. Auf Minister:innenebene hat die OECD die große Bedeutung des „Responsible Business Conducts“ für einen regelbasierten Welthandel hervorgehoben und eine Empfehlung verabschiedet, zukünftige Gesetzesprojekte im Bereich Sorgfaltspflichten konsequent auf den OECD-Standards aufzubauen. Diese bezieht sich wiederum auf die „Recommendation of the Council on the Role of Government in Promoting Responsible Business Conduct“ vom Dezember 2022. Die Richtlinie zum EU-Lieferkettengesetz würde somit diesem Themenkomplex entsprechen. Der Anwendungsbereich der Richtlinie richtet sich an Unternehmen ab 500 Mitarbeiter:innen und einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro bzw. in sogenannten Hochrisikosektoren an Unternehmen ab 250 Mitarbeiter:innen und einem Jahresumsatz von 40 Millionen Euro. Darüber hinaus werden durch die Richtlinie auch Unternehmen in Drittstaaten erfasst. Durch die Artikel 7 und 8 sowie die Erwägungsgründe 34 und 39 der Richtlinie wird zudem sichergestellt, dass KMUs Unterstützungen erhalten und Großunternehmen ihre Verantwortung nicht auf KMUs abwälzen können. Neben zahlreichen Unternehmen und Unternehmensverbänden haben sich ebenso UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk sowie die katholischen Bischöfe Werner Freistetter und Stephan Turnovszky für den erzielten Kompromiss ausgesprochen.
Die Verhandlungen zum EU-Lieferkettengesetz laufen in den nächsten Wochen weiter. Derzeit ist noch nicht absehbar, wann diese abgeschlossen sein werden. Der weitere Prozess hängt davon ab, ob die notwendige Mehrheit erreicht werden kann. Sollte dies der Fall sein, so folgen in den nächsten Wochen im Rechtsausschuss sowie im Plenum des EU-Parlaments weitere Abstimmungen. Danach wäre die Richtlinie endgültig beschlossen. Die EU-Mitgliedsländer müssen dann den notwendigen Rahmen schaffen, um die neue EU-Richtlinie umzusetzen.
Zur Autorin: Bettina Rosenberger ist Geschäftsführerin von NeSoVe.