Österreichische Neutralität zu aktiver Friedensdiplomatie nutzen
ksœ Stellungnahme
Selbstverständlich hat Israel ein Recht auf Selbstverteidigung. Und ebenso selbstverständlich ist jede Form von Terror entschieden und unmissverständlich zu verurteilen; es gibt dafür keine Rechtfertigung. Dennoch: Ein gerechter Friede kann immer nur auf dem Weg des gewaltfreien Dialogs und der Diplomatie errungen werden. Und dieses Ziel gilt es im Auge zu behalten.
Das wird gegenwärtig aber dadurch erschwert und unterlaufen, dass nahezu jede Stellungnahme zum Nahostkonflikt in der gegenwärtig so aufgeheizten Stimmung sofort daraufhin abgeklopft wird, auf wessen Seite man steht: Bekundet man Solidarität mit Israel, gilt das im selben Zug als Zustimmung zur israelischen Diskriminierungspolitik gegenüber den Palästinensern und zu Israels völkerrechtswidriger Siedlungspolitik im W-Jordan-Land. Weist man genau darauf hin und zeigt – trotz klarer Verurteilung und Distanzierung von terroristischen Akten gegen Israel – Verständnis für die verzweifelte Verbitterung der Palästinenser gegenüber Israel, trifft einen sehr schnell der Antisemitismus-Vorwurf. Egal, wie man sich äußert, die mediale Öffentlichkeit hat ihre Entweder-Oder-Schubladen weit geöffnet und sorgt dafür, dass man verlässlich in einer derselben landet – und sie reproduziert damit nur genau das fatale Freund-Feind-Schema, das alle Bemühungen um eine Konfliktlösung von vornherein untergräbt, die dialogisch auf Gerechtigkeit abzielen und nur so dauerhaften Frieden ermöglichen.
In der komplexen Gemengelage dieses Konflikts, ist die Sehnsucht nach klaren Linien und einfachen Lösungen zwar verständlich. Aber so mutig und profiliert es zunächst erscheinen mag, hier Partei zu ergreifen und mit Solidaritätsbekundungen in welche Richtung auch immer klare Kante zu zeigen – es vertieft nur die Gräben und reproduziert nur den tödlichen Konflikt. Wer einen Konflikt im Sinne der Katholischen Soziallehre und Friedensethik gerecht und damit mit Aussicht auf dauerhaften Frieden lösen will, darf sich nicht vor den Karren einer der Kriegsparteien spannen lassen und muss die den Konflikt nur prolongierende Logik eines exklusiven Entweder-Oder bzw. einer Freund-Feind-Dichotomie durchbrechen. Aus christlicher Perspektive gebührt Solidarität also neben allen Opfern v.a. jenen Kräften auf beiden Seiten des Konflikts, die nach gewaltlosen Wegen der Konfliktlösung im Sinne vorurteilsfreien Dialogs und diplomatischer Aushandlung fairer Kompromisse suchen.
Jede einseitige Parteinahme im Israel-Palästina-Konflikt vergisst und verrät dagegen das Ziel, um das allein es gehen kann – und das ist nicht der Sieg einer der beiden Parteien und die Vernichtung des jeweiligen Gegners! Ziel kann letztlich nur ein Zusammenleben aller von diesem Konflikt betroffenen Menschen und Gesellschaften in einem gerechten Frieden sein – in gegenseitigem Respekt als gleichrangige Partner, in Anerkennung der Würde, der Rechte und legitimen Interessen des jeweils Anderen und in Minimierung der Opfer und des Unrechts auf beiden Seiten. Der Weg zu diesem Ziel ist vor dem Hintergrund des über Jahrzehnte hinweg auf beiden Seiten erlittenen Leids und Unrechts schwer zu finden und zu gehen – gewiss. Aber er ist die einzige wirkliche Alternative zu jener verführerischen Entweder-Oder- bzw. Freund-Feind-Logik, die zwar klar und einfach erscheint, aber der komplexen Wirklichkeit in den allerseltensten Fällen gerecht wird und ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit mit Sicherheit verhindert.
Wenn Österreich am morgigen Nationalfeiertag des am 26. Oktober 1955 vom Nationalrat beschlossenen Gesetzes zur österreichischen Neutralität gedenkt, dann ist gerade im Kontext des eskalierenden Nahost-Konflikts verstärkt darüber nachzudenken, wie die Republik Österreich ihre Neutralität jenseits von bloßen Lippenbekenntnissen in den Dienst einer aktiven Friedensdiplomatie stellen kann.
Veröffentlichungsdatum: 25.10.2023
Autor: Markus Schlagnitweit
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