Ist ein anständiges Leben möglich?
Autor: Sebastian Thieme
Anständig Leben in Zeiten multipler Krisen?
Angesichts klimatischer Veränderungen und Klimakatastrophen, militärischer Auseinandersetzungen, inflationären Preisentwicklungen, dem Erstarken eines autoritären Nationalradikalismus (Wilhelm Heitmeyer) usw. stellt sich die Frage, wie inmitten dieser Gemengelage ein anständiges Leben möglich sein soll. Was kann in dieser Situation ethisch Orientierung geben? Diesem Problemkomplex nähert sich Sebastian Thieme aus einer plural-ökonomischen und wirtschaftsethischen Sicht in der letzten Printausgabe des alternativen Wirtschaftsmagazins Oxi, das sich dem Schwerpunkt „Krise“ widmet.
Sebastian Thieme argumentiert dort, dass sich die Frage eigentlich einfach beantworten ließe: Denn Konzepte, die ethisch Orientierung geben können, gibt es genug. Sie müssen also nicht erst erfunden werden. Allen voran zum Beispiel die Katholische Soziallehre mit ihren Sozialprinzipien Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl und soziale Gerechtigkeit sowie den daraus abgeleiteten Prinzipien der vorrangige Option für die Armen, der Nachhaltigkeit und des Dialogs (wie sie etwa Markus Schlagnitweit 2021 beschreibt). Darüber hinaus existieren zahlreiche wirtschaftsethische Konzepte wie zum Beispiel die Integrative Wirtschaftsethik von Peter Ulrich, die das Handeln unter den Vorbehalt der ethischen Legitimation durch einen öffentlichen Diskurs stellt. Auch der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant bietet eine erste ethische Orientierung.
Es herrscht also kein Mangel an ethischer Orientierung. Deshalb, so Sebastian Thieme, sei das Problem eher woanders zu suchen: Offenbar mangelt es „an der Praxis ethischer Reflexion, es mangelt an der Offenheit und am Willen, ethische Fachexpertise zu fördern und abzurufen, und ebenso offensichtlich mangelt es an der Integrität, ethisch reflektiert handeln zu wollen.“ Statt die ethische Fachexpertise zu stärken und abzufragen, sei immer häufiger der Versuch zu beobachten, ethische Fragen an „Mechanismen“, „Automatismen“, empirische Beobachtungen usw. auszulagern und so die ernsthafte ethische Abwägung und Auseinandersetzung zu umgehen. „Insofern“, so schreibt Sebastian Thieme, „müsste ethisches Reflektieren wohl erst wieder wertgeschätzt, gelernt und ernsthaft praktiziert werden. Und dazu bedürfte es auch des Willens zu Integrität.“ Für die ökonomische Ausbildung an den Universitäten würde das zum Beispiel bedeuten, einen angemessenen Raum für echte ethische Reflexion in die wirtschaftswissenschaftlichen Lehrpläne zu reservieren.
Mehr dazu im Artikel „Ist ein anständiges Leben möglich?“ auf den Seite 20-21 der letzten Ausgabe des alternativen Wirtschaftsmagazins Oxi (09/ 2023).