Die ksœ – Katholische Sozialakademie Österreichs – ist eine Akademie für Forschung, Bildung und Dialog auf Basis der Katholischen Soziallehre. Sozialethisches Denken und Handeln ist für sie leitend. Ihre Angebote haben zum Ziel, Menschen und Organisationen zu unterstützen, welche die gesellschaftliche Weiterentwicklung zur Entfaltung des Humanums aktiv mitgestalten. In vielfältigen Kooperationen arbeitet die ksœ an einem guten Zusammenleben aller Menschen.
Das „Mariazeller Manifest“ zur Vorbereitung des Katholikentages 1952 forderte ein „Sozialprogramm der Katholiken“ und eine entsprechende Schulung, dem mit der Gründung der ksœ durch die Österreichische Bischofskonferenz entsprochen wurde.
Vorgeschichte |
Der Österreichische Katholikentag 1952 stand unter dem Motto „Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft“. Die Katholische Kirche wollte alte Fesseln lösen: jene der Zeit der Unterdrückung von 1938 bis 1945, aber auch die engen parteipolitischen Bindungen der Zwischenkriegszeit und nicht zuletzt die durch die Besatzungsmächte auferlegten Beschränkungen. Das bedeutete auch: Dialog kirchlicher Verantwortungsträger mit allen politischen Parteien und Verbänden in Österreich und Bemühungen um eine klare Trennung von Partei- und Kirchenpolitik.
Unter dem Anspruch der „Mitbestimmung des Arbeiters“ wurde auf diesem Katholikentag auch ein „Sozialprogramm der Katholiken“ und eine entsprechende systematische Schulung gefordert.
1954 wurde das „Sozial- und Wirtschaftspolitische Referat der Erzdiözese Wien“ geschaffen. Auf dessen Basis wurden Überlegungen für eine Katholische Sozialakademie erarbeitet, deren Gründung während der Frühjahrsversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz 1958 beschlossen wurde. |
Katholische Soziallehre als Auftrag |
Am 1. Oktober 1958 nahm die Akademie unter Leitung von P. Walter Riener SJ mit Unterstützung eines halbtägig angestellten Referenten und einer Sekretärin ihre Tätigkeit auf. Der Gründungsauftrag „Erforschung und Verbreitung der katholischen Soziallehre sowie die Förderung ihrer Anwendung" führte rasch zur Planung eines Internatskurses für die Ausbildung von Aktivisten in Arbeitswelt und Gesellschaft und zu Aktivitäten der Erwachsenenbildung, wie z.B. der Herausgabe des regelmäßig erscheinenden „Informationsdienstes“. Bereits 1960 begann die Herausgabe des politisch-sozialen Fernkurses, der schrittweise ergänzt sowie durch Studienwochen bereichert wurde und bis zu seiner Einstellung 1971 rund 5.000 Personen erreichte.
Schon zu dieser Zeit war es möglich, im Rahmen der „KSÖ Stellungnahmen“ zu Innen- und Außenpolitik, ethischen Fragen und Gesetzesvorlagen in der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen, was auch Resonanz in anderen Medien fand (v.a. APA und KathPress). Expert*innen, die dem Christentum nahe standen, aber auf Grund ihrer Position nicht in eigenem Namen publizieren konnten, stellten wertvolle Informationen und Überlegungen zur Verfügung. Sie gehörten so zu der an Zahl eher kleinen Gruppe der Mitarbeiter*innen und machten die ksœ zur Gesprächspartnerin für verschiedene Interessensgruppen der österreichischen Gesellschaft. So kam es etwa 1967 zu Gesprächen P. Rieners mit dem Parteivorsitzenden der SPÖ Dr. Bruno Kreisky.
Das Jahrzehnt 1960-70 war geprägt vom 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) mit der Öffnung zur Weltkirche. Die Enzykliken Johannes XXIII., Mater et magistra (1961) und Pacem in terris (1963) griffen die Fragen von weltweiter Zusammenarbeit und Frieden auf, die in der Folge auch Eingang in die Arbeit der ksœ fanden. |
Ab 1959 fand regelmäßig der „Internatskurs für politisch-soziale (Aus-)Bildung zur Betriebsrats- und Gemeinderatsreife“ statt. Ergänzend wurde von 1960 bis 1970 der „Politisch-soziale Fernkurs“ angeboten. Seit 1972 wurde der frühere „Internatskurs“ unter dem Namen „Dreimonatskurs für Sozialethik, Wirtschaft und Politik“ fortgesetzt. Herausragend war die damals noch neue Didaktik, die sich an Selbsterarbeitung und Gruppendynamik orientierte. Der „Dreimonatskurs“ prägte das Angebot der ksœ seither wesentlich.
Seit 2004 wurde in dieser Tradition der Lehrgang „Soziale Verantwortung“ durchgeführt. Zielgruppe wurden zunehmend „Zukunftsgestalter*innen“ – Personen in Kirche und Gesellschaft, die den notwendigen gesellschaftlichen Wandel sozial und ökologisch mitgestalten wollen.
1968 |
Politisch stand das Jahr 1968 für eine Zäsur in allen europäischen Gesellschaften durch Bewegungen, welche überkommene Autoritäten in Frage stellten und für eine breite Demokratisierung aller Lebensbereiche eintraten. Dies hat auch die Methoden der ksœ in der politischen Bildung entscheidend geprägt.
Wurde der „Internatskurs“ noch als Akademie mit Vorlesungen und Prüfungen durchgeführt, so kam es ab 1973 unter der Leitung von Dr. Peter Gruber zu einer Weiterentwicklung: Angeregt durch neue Theorien und Methoden der Erwachsenenbildung wurden die Bildungsveranstaltungen der ksœ zu einem Experimentierfeld mit nachhaltiger Wirkung. Was damals begonnen wurde, fand in den folgenden Jahren in zahlreichen Institutionen Nachahmung.
Der „Dreimonatskurs für Sozialethik, Wirtschaft und Politik“ für qualifiziertes Engagement in den verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen wurde im Laufe der Jahre auf neue Herausforderungen hin weiterentwickelt. Die Einbeziehung von Expert*innen und die Möglichkeit, flexibel auf politische und soziale Entwicklungen einzugehen, zusammen mit der Methode selbstbestimmten Lernens trugen zum Bekanntheitsgrad und zur breiten Anerkennung des Dreimonatskurses und damit der ksœ bei.
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Gesellschaftliche Alternativen entwickeln |
Nach einem einjährigen Entwicklungsprozess, in den Absolvent*innen, Kooperationspartner*innen und Berater*innen eingebunden waren, startete im Herbst 2004 der erste Lehrgang „Soziale Verantwortung“ der ksœ. Akteur*innen mit verschiedenem Wertehintergrund und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen (Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft) wurden dabei unterstützt, gemeinsam soziale Verantwortung zu entwickeln. Die Teilnehmer*innen brachten Erfahrungen aus ihrem eigenen Bereich in den gemeinsamen Lernraum ein und erweiterten ihre Kompetenzen in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Analyse sowie in praxisrelevanten Feldern wie Konfliktmanagement oder Öffentlichkeitsarbeit.
Gelernt wurde mit vielfältigen Methoden, etwa in „Diskurscafés“, durch „Action learning“ oder beim „Perspektivenwechsel“, um andere Gesellschaftsbereiche an konkreten Orten kennen zu lernen. Die Teilnehmer*innen initiierten konkrete Projekte sozialer Verantwortung und übten innovative Formen der Kooperation. Zum Abschluss des Lehrganges präsentierten sie ihre Projekte im Rahmen eines öffentlichen Symposions und bekamen den Titel „AkademischeR EntwicklerIn sozialer Verantwortung“ verliehen.
Die Lehrgänge fanden in Zusammenarbeit mit jeweils einem Schwerpunktland aus dem Kreis benachbarter (damals neuer) EU-Mitgliedsstaaten statt. Im Kurs 2008-2010 war dies Tschechien, nach Slowenien und Slowakei in den vorangegangenen Jahren.
Das Projekt „Wirtschaft-Politik-Zivilgesellschaft“ erhielt 2007 den Innovationspreis des Forums Katholischer Erwachsenenbildung in Österreich. |
Da am „Internatskurs“ anfänglich nur Männer teilnehmen konnten, wurde schon bald ein zweiwöchiges „Soziales Seminar“ für Frauen angeboten. Daraus entstand in der weiteren Folge die „ksœ Frauenakademie“ mit dem Lehrgang „Geld und Leben. Wirtschaftskompetenz entwickeln“ und später dem Lehrgang „Macht mit Verantwortung“ für Frauen in Führungsfunktionen.
Schon mit dem Katholikentag und dem Mariazeller Manifest 1952 wurde „eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft“ auch als Forderung der Öffnung der Kirche zu allen politischen Parteien verstanden. Dieser Aufforderung ist die ksœ in vielen Gesprächen, Studientagen und Publikationen nachgekommen.
Gespräche mit Parteien |
Dazu zählte u.a. 1977 ein Studientag zu „Kirche und ÖVP“ mit dem Titel „Christliche Soziallehre – Möglichkeiten und Grenzen Christdemokratischer Parteien“ u.a. mit Dr. Josef Taus (ÖVP) und Dr. Norbert Blüm (CDU).
Unter den Kooperationspartner*innen des Lehrgangs „Soziale Verantwortung“ fanden sich parteinahe Institutionen unterschiedlicher Couleur, wie das Renner-Institut als Politische Akademie der SPÖ, die Politische Akademie der ÖVP oder das Neos-Lab sowie die Sozialakademie der Arbeiterkammer.
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Seit Gründung der ksœ erschien ein gedruckter „Informationsdienst“. Mit vielen weiteren Publikationen machte die ksœ auf sich aufmerksam, v.a. durch die Schriftenreihe „Soziale Brennpunkte“ in den 1970er Jahren, bspw. durch das Buch „Der Mensch vor dem Unrecht – Spiritualität und Praxis gewaltloser Befreiung“ von Hildegard Goss-Mayr (1976). Einige Bücher, v.a. „Grundeinkommen ohne Arbeit“ von Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt (1985), stießen Themen an, die in Österreich zuvor noch nie diskutiert worden waren. Seit 2002 wurden halbjährlich „Dossiers“ veröffentlicht, in denen multiperspektivisch Texte zu einem Thema versammelt sind.
"Der Mensch vor dem Unrecht" |
„Der Mensch vor dem Unrecht“: Dieses Buch der prominenten Vertreterin der christlichen Friedensbewegung wurde für Tausende ein Handbuch für gewaltfreies Leben und Kämpfen aus der Perspektive des Evangeliums im persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Bereich.
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"Grundeinkommen ohne Arbeit" |
„Grundeinkommen ohne Arbeit“: Der Titel des 1985 von der ksœ herausgegebenen Bandes wurde bewusst als Provokation und Anregung zur Diskussion gewählt – und die gesellschaftliche Diskussion darüber hält bis heute an, aktuell vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Einsatz von Künstlicher Intelligenz. 2002 wurde auf Initiative der ksœ das „Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt“ (B.I.E.N. Austria) gegründet, das u.a. mit Unterstützung Deutscher und Schweizer Netzwerke 2005 den ersten deutschsprachigen Grundeinkommenskongress in Wien durchführen konnte. |
Der Sozialhirtenbrief 1990 der katholischen Bischöfe Österreichs stellte in seinem Entstehungsprozess, an dem die ksœ maßgeblich beteiligt war, eine echte Novität dar: Er wurde in einem Österreich-weiten Dialogprozess entwickelt, an dem sich kirchliche Akteure, Gemeinden, Einrichtungen und Bewegungen ebenso beteiligten wie politische Gremien, Parteien, Sozialpartner und zivilgesellschaftliche Organisationen. Im Rahmen eines Aktionsteams wirkte die ksœ etwa an der Formulierung des Grundtextes „sinnvoll arbeiten – solidarisch leben“ mit, welcher als Anstoß für den gesamten Dialogprozess diente, sowie an der Sammlung und Systematisierung der Rückmeldungen und Ergebnisse aus diesem.
Beim Ökumenischen Sozialwort der Kirchen in Österreich (2003) war die ksœ für die Koordination des Gesamtprozesses verantwortlich. Erstmals haben Kirchen westlicher und östlicher Tradition dabei eine gemeinsame Stellungnahme zu sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen erarbeitet – ausgehend von den konkreten Erfahrungen sozialer Initiativen und Einrichtungen sowie in einem breiten Dialogprozess.
Im von der ksœ koordinierten Projekt „Sozialwort 10+“ (2013/14) des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich wurde das Sozialwort in Hinblick auf aktuelle Herausforderungen neu gelesen. Die Aktualität der Inhalte wurde dabei bestätigt.
Vor dem Hintergrund eines Beschlusses der 1973/74 abgehaltenen österreichischen Kirchenversammlung („Österreichischer Synodaler Vorgang“) begann die ksœ im Jahr 1977 mit mehreren Projekten zur Humanisierung der und Mitbestimmung in der Arbeitswelt. Bald schon überstieg diese Tätigkeit das Umfeld kirchennaher Einrichtungen und kleinerer Betriebe. So gab es z.B. bereits Anfang der 1980er Jahre Aufträge der voestalpine AG, des Raiffeisen-Verbandes und der OMV AG zur emanzipatorischen Arbeiterbildung. Über Jahre hinaus unterstützte die ksœ unter dem Titel „Führung & Partizipation“ Führungskräfte, Teams und Organisationen in Entwicklungsprozessen. Spezielle Angebote richteten sich an Diözesen, kirchliche Organisationen und Ordensgemeinschaften: Führungskräftetrainings oder die Beratung von Ordensleitungen bei Prozessen der Umstrukturierung ihrer Gemeinschaften und ihrer Einrichtungen sowie Moderation und Begleitung von Generalkapiteln der Ordensgemeinschaften. Ein besonderer Schwerpunkt lag bei der Begleitung von Entscheidungsprozessen.
Im November 1995 fand die 1. Österreichische Armutskonferenz in Salzburg statt, die mit Unterstützung mehrerer Mitarbeiter*innen der ksœ vorbereitet und durchgeführt werden konnte. Die ksœ ist seitdem Mitglied der Armutskonferenz.
In verschiedenen weiteren Netzwerken war die ksoe in den letzten Jahrzehnten aktiv, etwa in „Christlich geht anders. Solidarische Antworten auf die soziale Frage“ oder „Demokratie braucht Bildung“. Weiters wirkt(e) die ksœ in verschiedenen Gremien mit, z.B. im Politischen Arbeitskreis der Bischofskonferenz, im Ethikbeirat der PfarrCaritas der Erzdiözese Wien, im Arbeitskreis Wirtschaft-Ethik-Religion der Industriellenvereinigung, im Vorstand des Forums Katholische Erwachsenenbildung etc.
Am 3. Oktober 2001 wurde die „Allianz für den freien Sonntag Österreich“ aus der Taufe gehoben. Die ksœ war an deren Vorbereitung wesentlich beteiligt und koordinierte dieses breite Bündnis von über 50 Organisationen aus Kirchen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft bis 2021. Es finden laufend Medienevents, Enqueten und Kampagnen statt, um das Bewusstsein für den Wert gemeinsamer freier Zeit am Sonntag zu stärken und einer schleichenden Aushöhlung des freien Sonntags entgegenzuwirken.
2008 wurde das Dossier „Solidarische Ökonomie“ herausgegeben. Die ksœ arbeitete mit an der Vorbereitung zu den Kongressen „Solidarische Ökonomie“ 2009 und 2013.
Solidarisches Wirtschaften |
2018 wurde von der ksœ erstmals der Lehrgang „Solidarisches Wirtschaften“ angeboten. Dadurch sollten die Gründung sowie die Veränderung von bestehenden solidar-ökonomischen Betrieben/Initiativen unterstützt werden. Das P. Johannes Schasching SJ -Fellowship 2018/19 widmete sich schwerpunktmäßig dem Zusammenhang von Katholischer Soziallehre und Solidarischem Wirtschaften.
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ksœ neu
In ihrer Sommervollversammlung 2020 fasste die Österr. Bischofskonferenz den Beschluss, die ksœ einem umfassenden „Relaunch“ zu unterziehen. 2021 wurden ein „Mission Statement“ sowie ein neues Statut beschlossen und Dr. Markus Schlagnitweit auf fünf Jahre zum Direktor der ksœ bestellt.
Der Prozess der grundlegenden Neuaufstellung sieht die Aufgaben der ksœ nach eingehenden Beratungen und Sondierungen im Zuge des Relaunch-Prozesses in Hinkunft verstärkt auf „Forschung und Dialog“ (anstelle von „Bildung und Beratung“). Neu in der Schwerpunktsetzung und formalen Strukturierung ihrer inhaltlichen Arbeit ist die Unterstützung durch einen multidisziplinär und hochkarätig besetzten Wissenschaftlichen Beirat im Sinne kritischer Beratung und Begleitung, Vernetzung mit wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren sowie Integration in laufende soziale und politische Prozesse. Die ksœ soll sich so zu einer gesellschaftspolitischen Denkfabrik auf Basis der Katholischen Soziallehre sowie weltanschaulich offenen politischen Dialog-Plattform zugunsten eines guten Zusammenlebens aller entwickeln. Zu diesem Dialog-Auftrag zählen auch die Entwicklung und Umsetzung von zeitgemäßen und breit gefächerten Bildungsformaten über die Inhalte und Ergebnisse ihrer Forschungstätigkeit.